6.Häusliche Gewalt und die Gefahr von Kindesmisshandlung, Vernachlässigung und sexuellem Missbrauch

In der Forschung ist es möglich und für das Verständnis der Folgen miterlebter häuslicher Gewalt auch notwendig, gezielt Kinder bzw. Jugendliche zu untersuchen, die bestimmte weitere Belastungserfahrungen (z. B. selbst erlebte Misshandlung) nicht machen mussten (Kindler, 2013). In der Praxis treffen Fachkräfte aber häufig auf Kinder, die eine Geschichte mehrerer unterschiedlicher Belastungserfahrungen (z. B. Kindesmisshandlung, belastende Trennungen) mitbringen. Ein hohes Ausmaß an Überlappung ist etwa für häusliche Gewalt und körperliche Kindesmisshandlung dokumentiert. Kam es zu Interventionen wegen Gewalt auf der Partnerebene, so hatte in einer Forschungsübersicht etwa 40 % der Kinder auch selbst Misshandlung erfahren (Appel & Holden, 1998). In derzeit fünf vorliegenden Längsschnittstudien war bei bekannter Gewalt auf der Partnerebene die Rate bekannt werdender Kindesmisshandlung in den folgenden Jahren etwa vierfach erhöht (Chan, Chen & Chen, 2019), so dass häusliche Gewalt klar als Warnhinweis für spätere oder bereits erfolgte körperliche Gewalt gegen Kinder einzuordnen ist.

Aus mehreren Gründen treten zudem emotionale sowie körperliche Vernachlässigung und psychische Misshandlung in Familien mit häuslicher Gewalt häufiger auf (z. B. McGuigan & Pratt, 2001). Ein Grund liegt natürlich in der Belastungswirkung häuslicher Gewalt, die dann etwa zu einem Zusammenbruch guter Fürsorge führen kann, sowie in der Anwesenheit mindestens einer aggressiven und grenzverletzenden Person in der Familie. In manchen Fällen stellt Partnergewalt gegen die Mutter aber auch einen fehlgeleiteten Versuch dar, Suchterkrankungen oder ähnliche Probleme der Mutter zu kontrollieren. Es können dann diese Probleme sein, die, unter Umständen bereits vor Einsetzen der häuslichen Gewalt andere Formen der Gefährdung für Kinder bedingen. Wenngleich weniger gut untersucht, scheinen von häuslicher Gewalt betroffene Kinder auch etwas häufiger sexuellen Missbrauch erleben zu müssen (Assink et al., 2019). Insgesamt ist klar festzuhalten, dass Einrichtungen und Dienste, die Schutz und Hilfe bei häuslicher Gewalt anbieten, in ihrer Arbeit gehäuft mit ganz verschiedenen Formen von (drohender) Kindeswohlgefährdung konfrontiert werden, so dass eine entsprechende Expertise oder der leichte Zugang zu entsprechender Expertise sehr wichtig ist.