4.Folgen für das Immunsystem

Als Folge dieser Fehlregulation des Stresssystems kommt es zu u. a. einer Überaktivierung des Immunsystems (Bair-Merritt, Zuckerman, Augustyn & Cronholm, 2013). Die Mechanismen, also die Frage danach, wie die übermäßige Aktivierung der HPA-Achse in der Kindheit zu einer Überaktivität des Immunsystems führt, sind noch nicht im Detail geklärt. Eine wesentliche Rolle scheint aber die Entwicklung einer Resistenz gegen Cortisol zu spielen. Cortisol übt eigentlich eine hemmende Funktion auf das Immunsystem aus und wirkt direkt auf die Bildung von Immunzellen im Knochenmark. Bei chronischem Stress beeinflussen aber entzündliche Stoffe die Reaktivität der HPA-Achse – eine chronische entzündliche Reaktion kann die Folge sein (Brenhouse, Danese & Grassi-Oliveira, 2019).

Erwachsene, die in der Kindheit Misshandlung erlebt haben, weisen höhere Konzentrationen von Entzündungsmolekülen wie z. B. dem C-reaktiven Protein (CRP) und Zytokinen auf (Danese, Pariante, Caspi, Taylor & Poulton, 2007). Der Zusammenhang zwischen Misshandlung und einer entzündlichen Reaktion ist bereits im Kindesalter nachweisbar. In einer großen Längsschnittstudie, in die mehr als 3.200 Kinder eingeschlossen wurden, wiesen Kinder, die im Alter von 6 bis 8 Jahren belastende Kindheitsereignisse erlebt hatten, im Alter von 10 Jahren höhere Zytokin- und CRP-Werte auf als Gleichaltrige ohne Misshandlungserfahrungen. Belastende Kindheitserlebnisse sagten zudem erhöhte CRP-Spiegel im Alter von 15 Jahren voraus (Slopen, Kubzansky, McLaughlin & Koenen, 2013). Diese Ergebnisse stützen prospektive Hinweise auf einen biologischen Mechanismus, durch den frühe belastende Kindheitserfahrungen langfristig die Gesundheit beeinflussen können.