3.Neurobiologische Systeme der Stressregulation

Die Frage danach, wie das Erleben von Gewalt zwischen den Eltern, aber auch das Erleben anderer belastender Kindheitserfahrungen zu Veränderungen in der Hirnstruktur und psychischen sowie körperlichen Erkrankungen führt, wird viel diskutiert. Es scheinen verschiedene biologische Systeme an der Entstehung der Folgen von Gewalt relevant zu sein. Das Zusammenspiel dieser unterschiedlichen relevanten Systeme ist bisher nicht umfassend aufgeklärt. Insbesondere scheint aber die Stressreaktivität nach dem Erleben belastender Kindheitserfahrungen beeinträchtigt zu sein. Im Folgenden werden daher die Systeme der Stressregulation genauer vorgestellt.

Ein wichtiger Faktor ist das autonome Nervensystem, also der Teil des Nervensystems, dessen Funktionen weitgehend unbewusst bleiben und kaum willentlich beeinflusst werden kann. Stark belastende Umweltexpositionen, wenn etwa Kinder Opfer häuslicher Gewalt sind, führen dazu, dass sie aufgrund des massiven Bedrohtheitsgefühls bzw. ihrer Angst „nur noch“ sehr eingeschränkt in der Lage sind zu reagieren. Häufig kommt es zu einer „Kampf- oder Flucht-Reaktion“ ("Fight oder Flight"). Dies beschreibt eine Alarmreaktion, die eine erhöhte Bereitschaft für den „Kampf“ (Abwehr) oder die „Flucht“ ermöglicht. Klinisch zeichnet sich diese Reaktion u. a. über eine erhöhte Muskeldurchblutung sowie einen höheren Muskeltonus, einer Erhöhung der Herzfunktion sowie eine Beschleunigung von Herz- und Atemfrequenz aus. So kann der Körper schneller reagieren und die Chance, in Bedrohungssituationen zu überleben, erhöhen. Neurobiologisch lässt sich dieses Verhalten über ein „Notprogramm“ des autonomen Nervensystems interpretieren. Dieses wird über den Sympathikus, der für die schnelle Reaktion auf Umweltreize und die Mobilisierung des Körpers verantwortlich ist, verursacht. Bei Stressexposition, wie z. B. dem Erleben von Gewalt, werden Nervenzellen in verschiedenen Regionen des zentralen Nervensystems, wie z. B. im Hypothalamus, in der Formatio Reticularis und im Hirnstamm, aktiviert. Dies führt über eine Aktivierung sympathischer Nervenfasern u. a. zur Ausschüttung der die Hormone Adrenalin und Noradrenalin aus dem Nebennierenmark und dann zu den beschriebenen Veränderungen im Körper.