5.2Verantwortung zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung zwischen Eltern, öffentlichen Hilfen und Familiengericht

Bevor familiengerichtliche Eingriffe in die elterliche Sorge nach § 1666 Abs. 3 BGB zulässig sind, sind Angebote der Hilfe und Unterstützung zu unterbreiten, welche auf die Beseitigung oder den Ausgleich des festgestellten elterlichen Defizits ausgerichtet sind. BVerfG 17.2.1982 – 1 BvR 188/90. Wenn das Wohl eines Kindes oder eines*einer Jugendlichen gefährdet ist, geht die Gewährung von „öffentlichen Hilfen“ etwaigen Eingriffen vor (§ 1666a Abs. 1 BGB; Verhältnismäßigkeitsgrundsatz). Familiengerichtliche Maßnahmen sind einerseits abhängig von der Bereitschaft und/oder Fähigkeit der Sorgeberechtigten zu (der Mitarbeit bei) der Abwehr vorhandener Gefahren und andererseits von der Beurteilung der Eignung ambulanter Hilfen zur Erziehung bei der Abwehr einer Kindeswohlgefährdung. Methodisch angemessene Antworten auf diese beiden Fragen liegen häufig noch sehr im Dunkel, sodass bei einer angenommenen Kindeswohlgefährdung im Sinne von § 1666 Abs. 1 BGB nach Partnerschaftsgewalt die geeigneten und angemessenen Maßnahmen des Familiengerichts auch nicht ganz einfach zu bestimmen sind, etwa inwieweit mehrere gleich geeignete Mittel zur Abwendung einer Gefährdung vorliegen und wenn ja, welche das mildeste ist (Übermaßverbot). Jedenfalls unverhältnismäßig wäre es, wie aus der Praxis manchmal berichtet wird, den gewalt- betroffenen Elternteil einfach vor die Entscheidung zu stellen, sich zu trennen oder ansonsten würden die Kinder aus der Familie genommen. Unverhältnismäßig wäre dies deswegen, weil zum einen auch bei gewaltbetroffenen Elternteilen notwendig ist, Alternativen zum Verbleib in der gewaltbelasteten Beziehung aufzuzeigen und zu erarbeiten, und zum anderen, weil damit das Wohlverhalten allein beim gewaltbetroffenen Elternteil verortet wird, statt den gewaltausübenden Elternteil bei der Abwendung der Gefährdung in die Verantwortung zu nehmen. Hierzu ▸ Kapitel 1, S. 23 f. Dies würde zum einen den gewaltbetroffenen Elternteil allein verantwortlich machen für den Schutz seiner Kinder und zum anderen den gewaltausübenden Elternteil aus dem Blick verlieren. Mit einer solchen in der Regel unverhältnismäßigen, einseitigen „Verantwortisierung“ des gewaltbetroffenen Elternteils würde diesem das Recht genommen, Perspektiven für sich und seine Kinder jenseits einer gewaltbelasteten Beziehung zu erarbeiten, sich aus Abhängigkeiten und Zwangslagen zu lösen und hierbei Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Dem gewaltausübenden Elternteil würde damit das Recht genommen, zu seiner Verantwortung zu stehen und an Veränderungen zu arbeiten. BVerfG 17.2.1982 – 1 BvR 188/90.

5.2.1Schutzauftrag von Jugendamt, Einrichtungen, Diensten und Berufsgeheimnisträgern

Da das Miterleben von Partnerschaftsgewalt zwar nicht notwendig mit einer erheblichen Schädigung des Kindes bzw. der*des Jugendlichen einhergeht, stellt es nicht automatisch eine Kindeswohlgefährdung, aber sehr wohl eine „Gefahr“ für das seelische Wohl des Kindes oder der*des Jugendlichen dar. Biesel & Urban-Stahl 2018, S. 102. Daher sind darin zumindest „gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen“ zu sehen (§ 8a Abs. 1 S. 1, § 8a Abs. 4 S. 1 SGB VIII, § 4 Abs. 1 S. 1 KKG). Es handelt sich jedenfalls um konkrete Hinweise bzw. ernst zu nehmende Vermutungen für eine Gefährdung. Kelly & Meysen, 2016. Das Gesetz weist Fachkräften auch bei Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung im Vorfeld einer familien- gerichtlichen Befassung jeweils Handlungspflichten zu. Diese ergeben sich:

  • für das Jugendamt aus § 8a Abs. 1 bis 3 SGB VIII;

  • für Träger der freien Jugendhilfe aus § 8a Abs. 4 SGB VIII in Verbindung mit entsprechenden Vereinbarungen mit dem Jugendamt;

  • für Berufsgeheimnisträger*innen (Sozialarbeiter*innen, Sozialpädagog*innen, Angehörige von Heilberufen, Lehrer*innen, etc.) aus § 4 KKG.