Wenn ein*e Partner*in gewalttätig ist, ist die Gewaltausübung unterschiedlich intensiv. Sie erstreckt sich, in unterschiedlicher Ausprägung, von emotional misshandeln- dem Verhalten, wie Herabsetzen, Demütigen, Einschüchtern oder Terrorisieren bis hin zu körperlicher Misshandlung und Tötungsdelikten. Mit Blick auf die Erziehung können die gewaltbetroffenen Eltern schlimmstenfalls ihr Kind aufgrund von Hilflosigkeit nicht vor der emotionalen und/oder körperlichen Misshandlung des Vaters schützen. In kritischen Fällen geht es dann letztlich um nicht gewollte Vernachlässigung. Neben den hinlänglich bekannten Kriterien vernachlässigenden Verhaltens, nämlich die fehlender bzw. unzureichender Erfüllung von emotionalen, medizinischen oder bildungsbezogenen Bedürfnissen, wird auch als Vernachlässigung definiert, wenn Eltern die Sicherheit ihres Kindes nicht gewährleisten (können). Neben unzureichender Beaufsichtigung trifft dies dann zu, wenn Eltern ihr Kind nicht aus einer gewalttägigen Umgebung herausnehmen. Vgl. Leeb et al. 2008, S. 11‒16.

Wenn Eltern wie im beschriebenem Sinne Gewalt gegenüber ihren Kindern ausüben bzw. sie nicht davor schützen können, lässt sich in den meisten Fällen von tiefgreifen- den, meist auch generationsübergreifenden bzw. biographischen Belastungen der Eltern ausgehen (so genannte Risikomechanismen). Dabei handelt es sich um chronische Schwierigkeiten von Eltern, ihren Alltag zu bewältigen, um mangelnde Impulskontrolle, um tiefgreifende Gefühle von Hoffnungslosigkeit, ggf. auch in der Vergangenheit massive Probleme ihr Kind bzw. ein Geschwisterkind zu versorgen, sowie insgesamt um mangelnde Bewältigungsstrategien und mangelnde Problemlösestrategien. Adshead et al., 2004; Ziegenhain, 2014. Mittlerweile gibt es eine wachsende Anzahl von Befunden, die belegen, dass frühe und chronische Erfahrungen von überwältigender Hilflosigkeit gegenüber einem feindseligen oder misshandelnden Elternteil gehäuft im Zusammenhang mit dysfunktionalem Umgang mit dem eigenen Kind stehen. Tatsächlich zeigte sich, dass Eltern mit Gewalt- bzw. traumatischen Beziehungsvorerfahrungen ihr Kind in belastenden Situationen nicht trösten können, sich übermäßig harsch, aggressiv oder bestrafend verhalten und vermehrt negativ übergriffig sind (Nachäffen des Kindes oder sich über das Kind lustig machen). Dazu gehören auch so genannte Rollenkonfusion („Abgeben“ der Elternrolle), emotional ausgeprägt zurückgezogenes Verhalten oder auch Kommunikationen, die ein Kind widersprüchlich erleben muss (z. B. verbal einladen »komm doch zu mir« und sich gleichzeitig körperlich abwenden). Schließlich gehört dazu so genanntes dissoziatives oder desorientiertes Verhalten, z. B. dann, wenn Eltern verwirrt wirken, sich zögernd oder furchtsam gegenüber dem Kind verhalten (mit Stimme, Mimik, Körperhaltung oder plötzlichen Bewegungen) oder „Einfrieren“ bzw. sich „wie in Trance“ (trance-like) bewegen. Die letztgenannten Verhaltensweisen werden klinisch mit traumatischen Vorerfahrungen assoziiert. Siehe die Metaanalyse mit 12 Studien und 851 Mutter-Kind-Dyaden: Madigan et al., Attachment + Human Development 2006.

Solche Zusammenhänge zwischen eigenen kritischen biographischen Erfahrungen und Gewaltausübung gegenüber dem Kind sind nicht „deterministisch“, also kommen zwar gehäuft vor, aber führen nicht in jedem Fall zwangsläufig zu Gewaltausübung. Sie stellen allerdings ein erhöhtes Risiko für so genannte hochunsichere Bindung bzw. für Bindungsstörungen dar (3,7 mal häufiger). Madigan et al., Attachment + Human Development 2006.

4.3Auswirkungen auf die Kinder: Entwicklungspsychobiologische Grundlagen

Das Verhalten von Eltern ist zentral für die Entwicklung ihrer Kinder. Tatsächlich besteht in den meisten Entwicklungstheorien weitgehend Übereinstimmung darüber, dass die Eltern-Kind-Beziehung einen wesentlichen Einfluss auf eine positive Persönlichkeitsentwicklung bzw. auch auf eine psychopathologisch verlaufende Entwicklung haben kann. DeKlyen & Greenberg, 2016. Gemäß der ethologischen Bindungstheorie ist diese Beziehungsabhängigkeit tief in der Evolution verankert und dient dem körperlichen Schutz (Überleben). Dies gilt in besonderem Maße für Säuglinge und Kleinkinder, aber auch für ältere Kinder. Wegen ihrer hohen Verletzlichkeit sind allerdings insbesondere kleine Kinder auf Schutz und Fürsorge angewiesen. Tatsächlich wird ein Mechanismus angenommen, der es im Sinne eines entwicklungspsychobiologischen „Automatismus“ bereits Säuglingen ermöglicht, bei Belastung Nähe und Schutz bei ihren Bindungspersonen zu suchen. Damit verbunden ist eine innere Erregung, die erst im Kontakt mit einer Bindungsperson wieder abklingt. Guttmann-Steinmetz & Crowell, Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry 2006.

Bindung dient der psychologischen Sicherheit von Kindern und gewährleistet, dass ihre Bezugspersonen für sie emotional verfügbar sind. Bindung bzw. Nähe zur Bindungsperson reduziert Angst, und zwar insbesondere in unvertrauten Situationen. Dieser Mechanismus der Stressregulation im Beziehungskontext funktioniert nur bei vertrauten Bezugspersonen. Kinder etablieren eine Bindungsbeziehung mit denjenigen Menschen, die sich um sie kümmern und die sie versorgen. Es geht also um enge soziale Beziehungen und nicht um Blutsverwandtschaft, selbst wenn es gewöhnlich die Eltern sind, an die sich die Kinder binden. Es dürfte mit der Stärke dieses Bindungsbedürfnisses zusammenhängen, dass sich auch diejenigen Kinder an ihre Eltern bin- den, die sie, emotional und/oder körperlich, misshandeln bzw. die nicht in der Lage sind, sie gegen Gewalt zu schützen.