4.1Partnerschaftsgewalt und die Gefahr von Kindesmisshandlung, Vernachlässigung und sexuellem Missbrauch

In der Forschung ist es möglich und für das Verständnis der Folgen miterlebter Partnerschaftsgewalt auch notwendig, gezielt Kinder bzw. Jugendliche zu untersuchen, die bestimmte weitere Belastungserfahrungen (z. B. selbst erlebte Misshandlung) nicht machen mussten. Kindler, 2013. In der Praxis treffen Fachkräfte aber häufig auf Kinder, die eine Geschichte mehrerer unterschiedlicher Belastungserfahrungen (z. B. Kindesmisshandlung, belastende Trennungen) mitbringen. Ein hohes Ausmaß an Überlappung ist etwa für Partnerschaftsgewalt und körperliche Kindesmisshandlung dokumentiert. Kam es zu Interventionen wegen Gewalt auf der Partnerebene, so hatte in einer Forschungsübersicht etwa 40 % der Kinder auch selbst Misshandlung erfahren. Appel & Holden, Journal of family psychology 1998, S. 578 ff. In derzeit fünf vorliegenden Längsschnittstudien war bei bekannter Gewalt auf der Partnerebene die Rate der Kindesmisshandlung in den folgenden Jahren etwa vierfach erhöht, Chan et al., Trauma, Violence & Abuse 2019. sodass Partnerschaftsgewalt klar als Warnhinweis für spätere oder bereits erfolgte körperliche GewaltgegenKindereinzuordnenist.Aus mehreren Gründen treten zudem emotionale sowie körperliche Vernachlässigung und psychische Misshandlung in Familien mit häuslicher Gewalt häufiger auf. Z.B. McGuigan & Pratt, Child Abuse & Neglect 2001. Ein Grund liegt natürlich in der Belastungswirkung häuslicher Gewalt, die dann etwazu einem Zusammenbruch guter Fürsorge führen kann, sowie in der Anwesenheit mindestens einer aggressiven und grenzverletzenden Person in der Familie. In manchen Fällen stellt Partnergewalt gegen die Mutter aber auch einen fehlgeleitetenVersuch dar, Suchterkrankungen oder ähnliche Probleme der Mutter zu kontrollieren. Es können dann diese Probleme sein, die unter Umständen bereits vor Einsetzen der häuslichen Gewalt andere Formen der Gefährdung für Kinder bedingen. Wenngleich weniger gut untersucht, scheinen von häuslicher Gewalt betroffene Kinder auch etwas häufiger sexuellen Missbrauch erleben zu müssen. Assink et al., Psychological Bulletin 2019, S. 459 ff.

4.2Bandbreite elterlicher Beziehungs- und Erziehungskompetenzen bei häuslicher Gewalt

Gemäß den vorliegenden Studien besteht im Kontext von Partnerschaftsgewalt eine Bandbreite, innerhalb derer sich die Erziehungs- und Beziehungskompetenzen von Eltern unterscheiden. Danach gelingt es Müttern – Studien zu gewaltbetroffenen Vätern fehlen bislang – in vielen Fällen erstaunlich gut, hinreichend und nachhaltig fürsorglich gegenüber ihren Kindern zu sein. Kindler, 2013. Andererseits sind aber auch viele Mütter wegen ihrer eigenen hohen Belastung häufig nicht in der Lage, die Bedürfnisse ihres Kindes hinreichend wahrzunehmen und adäquat darauf zu reagieren. Sie sind in unterschiedlichem Ausmaß in ihren Beziehungs- und Erziehungskompetenzen eingeschränkt. Mullender et al., 2002; Levendosky et al., Journal of Family Psychology 2003. Aus verschiedenen Studien lässt sich ableiten, dass Mütter, wenn sie in Studien als Gruppe analysiert wurden, bei häuslicher Gewalt emotional stark belastet und erschöpft waren und im Umgang mit ihren Kindern emotional wenig zugänglich oder harsch bzw. aggressiv sein können. Holden, Clinical Child and Family Psychological Review 2003; Levendosky et al., Journal of Family Psychology 2003; Holt et al., Child Abuse & Neglect 2008. Zudem zeigten viele Mütter Schwierigkeiten, Grenzen zu setzen. Ullman, Aggression and Violent Behaviour 2003; Holt et al., Child Abuse & Neglect 2008. Angesichts der mit Partnerschaftsgewalt häufig einhergehenden Ab- und Entwertung, auch in der Position als Mutter, ist dies zwar kein überraschender Befund, aber insofern wichtig zu erwähnen, weil sich daraus konkrete Unterstützungsleistungen ableiten lassen.