3.2Folgen miterlebter häuslicher Gewalt für die psychische Gesundheit

Nahezu alle Kinder und Jugendlichen, mit denen jemals im Rahmen von Forschung über miterlebte Partnerschaftsgewalt gesprochen wurde, beschreiben diese Erfah- rungen als belastend und ängstigend. Arai et al., Trauma, Violence, & Abuse 2019, S. 1 ff.; Noble-Carr, Moore & McArthur, Trauma, Violence, & Abuse 2019. Schon allein deshalb ist häusliche Gewalt als Kindeswohlthema anzusehen. Einen wichtigen zusätzlichen Beleg stellen aber Unter- suchungen zu Verhaltensauffälligkeiten und Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit bei betroffenen Kindern und Jugendlichen dar, weil dies den Schweregrad der psychischen Belastung verdeutlicht und Beeinträchtigungen von psychischer Gesundheit und Verhaltensanpassung ihrerseits wieder negative Folgen im Leben von Kindern haben.

Begonnen hat diese Forschung mit Kindern in Frauenhäusern als einer erreichbaren Gruppe. Auch aus Deutschland gab es hierzu eine frühe Studie. Winkels & Nawrath, 1990. In einer aktuellen Erhebung in sieben Frauenhäusern fanden Ruth Himmel und Kolleg*innen Himmel et al., Nervenheilkunde 2017. bei 64 % der Kinder Verhaltensprobleme in klinischem Umfang und bei weiteren 23 % Probleme im Grenzbereich zur klinischen Auffälligkeit. International hat die Forschung daran gearbeitet, Kinder mit Erfahrungen von häuslicher Gewalt nicht nur in Frauenhäusern, sondern auch an anderen Orten (z. B. Beratungsstellen) einzubeziehen und verschiedene Methoden sowie Informationsquellen zu nutzen, um einen Eindruck von Verhaltensauffälligkeiten und Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit zu gewinnen. Dies ist wichtig, weil es zu insgesamt robusteren und für die Gesamtheit der von häuslicher Gewalt betroffenen Kinder aussagekräftigeren Ergebnissen führt. Mehrere Forschungsübersichten haben die Ergebnisse zusammengeführt. Evans, Davies und DiLillo Evans et al., Aggression and violent behavior 2008. konnten etwa 60 Studien und damit Ergebnisse zu mehr als 7.000 Kindern zusammenfassen. In einer noch aktuelleren Forschungsübersicht waren es dann bereits mehr als 70 Studien, obwohl nur noch Längsschnittuntersuchungen zugelassen wurden, d. h. mehrmals über einige Zeit hinweg Daten erhoben wurden. Vu et al., Clinical psychology review 2016.

Generell fanden sich in den vorliegenden Studien deutliche, d. h. klar vom Zufall abzugrenzende und praktisch bedeutsame Zusammenhänge zwischen dem Miterleben von Partnerschaftsgewalt und nach außen gerichteten Verhaltensauffälligkeiten (Externalisierung, z. B. Aggressionen) sowie nach innen gerichteten Problemen (Internalisierung, z. B. Ängste). Nicht immer wurde erhoben, wie viele Kinder als klinisch, d. h. behandlungsbedürftig auffällig, einzuschätzen waren. Im Durchschnitt der Studien, die hierzu Ergebnisse berichtet haben, waren es 30 bis 40 % der von häuslicher Gewalt mitbetroffenen Kinder und damit deutlich mehr als in Vergleichsgruppen. Kindler, 2013. Wichtig ist, dass in den längsschnittlichen Verlaufsanalysen die Anzahl der Kinder mit Verhaltensproblemen hoch blieb. Vu et al., Clinical psychology review 2016. Dies deutet darauf hin, dass bei einigen Kindern und Jugendlichen die Gewalt über längere Zeit im Leben präsent blieb oder Verhaltensprobleme aus anderen Gründen chronisch wurden. Jedenfalls scheinen Schutz und Unterstützung vielfach nicht ausgereicht zu haben. Wichtig ist auch, dass nicht nur körperliche Gewalt, sondern auch Drohungen, Kontrolle und ein Klima der Angst zur Belastung von Kindern und Jugendlichen beitrugen und es daher nicht sinnvoll ist, sich allein auf Vorfälle körperlicher Gewalt zu konzentrieren. Vu et al., Clinical psychology review 2016. In einigen Studien wurden besondere Störungsbilder erhoben, vor allem posttraumatische Belastungsstörungen. Die hauptsächlichen Kennzeichen posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) sind das ungewollte innere Wiedererleben von Belastungsgeschehnissen, ein generell erhöhtes Erregungsniveau und die Entwicklung von vermeidender Reaktionen gegenüber Personen, Orten oder Situationen, die an das Belastungsgeschehen erinnern. Für eine leicht lesbare Einführung in das Störungsbild siehe auch Rosner & Steil, 2008. Im Mittel der vorliegenden Studien mit qualifizierter Einschätzung fand sich bei 20bis 25 % der von häuslicher Gewalt betroffenen Kinder eine posttraumatische Belastungsstörung. Z.B. Ahern, 2017. Bei einem größeren Anteil, teilweise der Mehrheit der Kinder, zeigten sich einzelne Symptome. Nach einer kürzlich veröffentlichten Verlaufsstudie über acht Jahre scheint es auch hier häufig nicht zu gelingen, eine einmal entstandene PTBS wieder zum Abklingen zu bringen. Galano et al., Journal of interpersonal violence 2019. Insbesondere kleine Kinder sind besonders vulnerabel, wenn sie Partnerschaftsgewalt ausgesetzt sind. Gemäß einiger neuerer Studien zeigten sich zudem Auffälligkeiten, wie aggressives Verhalten bei Kindern, die häufig und in jungem Alter Partnerschaftsgewalt ausgesetzt waren, erst im Grundschulalter (sog. „Sleeper“-Effekt). Holmes, Journal of Child Psychology and Psychiatry 2013.

Da dies für die Prävention und Intervention mit Kindern und Jugendlichen von offen- kundiger Bedeutung ist, hat sich eine Reihe von Untersuchungen damit beschäftigt, unter welchen Umständen das Miterleben von Partnerschaftsgewalt bei Kindern besonders häufig zu klinisch relevanten Verhaltensauffälligkeiten und Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit führt. Z.B. Zarling et al., Journal of family psychology 2013. Wenig überraschend spielen Merkmale der Gewalt (z. B. Ausmaß und Dauer) hier eine Rolle. Wichtig scheinen aber auch die psychische Belastung der Mutter und die Qualität von Fürsorge (z. B. emotionale Zuwendung, Aufrechterhalten von Erziehungsregeln).

Schließlich ist aber auch wichtig, wie ein Kind die Gewalt versteht (z. B. ob es sich als mitverantwortlich ansieht) und welche Strategien im Umgang mit emotionaler Belastung zur Verfügung stehen (z. B. nicht daran denken vs. Hilfesuche). Hierzu passen Befunde zu resilienten Kindern, also Kindern, die eine gewaltbedingte Belastung gut überwinden. Fogarty et al., Australian journal of psychology 2019. Gute Bewältigungsstrategien im Umgang mit belastenden Gefühlen sowie unterstützende Beziehungen waren hier die Schlüsselfaktoren.