Es lässt sich hier ein psychologischer Prozess annehmen, der einen Entwicklungsgang in parentifizierendes Verhalten begünstigt. Insbesondere dann, wenn die Bindungsperson emotional nicht erreichbar bzw. emotional nicht „präsent“ ist, sind Kinder äußerst beunruhigt und geängstigt. Sie sind bei Belastung, psychobiologisch bedingt, auf (emotionale) Nähe und Kontakt angewiesen. Intuitiv entwickeln sie eine Strategie, die Aufmerksamkeit ihrer Bindungsperson auf sich zu richten: Sie „erfreuen“ und unterhalten sie. Bereits bei Säuglingen kann das ein Lächeln „ohne Grund“ sein, ein biologisches Signalverhalten, auf das auch ein emotional zurückgezogener Elternteil positiv reagiert. Damit können Verstärkerschleifen in Gang gesetzt werden, die sich immer häufiger wiederholen und über die das Kind zunehmend „lernt“, seine Bindungsperson auf sich zu fokussieren und damit einigermaßen mit seiner inneren Erregung zurechtzukommen. Eine solche intuitive Strategie lässt sich lerntheoretisch über operantes Konditionieren erklären, ein Lernmodus, über den bereits Säuglinge und Kleinkinder verfügen (s. a. Crittenden, 1994). Mit zunehmender Entwicklung dürfte sich die Erfahrung beim Kind verstärken bzw. beim Jugendlichen verfestigen, dass sie Nähe mit der Bindungsperson und mehr Aufmerksamkeit von ihr bekommen wenn sie sie umsorgen, ihre unangemessene Intimität akzeptieren oder Vertraute (-r) für sie sind. Damit, so die klinische Interpretation, können sie ihre Gefühle von Hilflosigkeit besser kontrollieren. Sie können die Bindungsperson beeinflussen bzw. werden von ihr wahrgenommen und „gesehen“ (Macfie, Brumariu & Lyons-Ruth, 2015).