4.Schutz und Fürsorge

Wir versuchten gar nicht daran zu denken, wir würden nur, mein Bruder denkt sich ein Spiel aus und wir fangen an es zu spielen, da drunter, wir holen ein paar von seinen Spielsachen und so Dingen, aber wir können immer noch das Schreien hören, wenn es dann wirklich laut wird das Schreien, dann hört mein Bruder für einen Moment auf und schaut mich an (zieht selbst ein ängstliches Gesicht). Ich meine dann ‚Es ist okay, es ist okay‘, weil manchmal flippt er dann einfach aus oder so, er hat dann furchtbare Angst was passiert, wahrscheinlich hatte er Angst, dass jemand verletzt wird … Man kann sehen, dass er gleich anfängt zu weinen oder so und man versucht und so, versucht und macht mit dem Spiel schnell weiter (hmm) versucht und so weiter zu spielen, das Spiel besonders interessant zu machen und so eben, so dass er versuchen kann und es vergisst. (Callaghan, Alexander, Sixsmith & Fellin, 2016; S.  653; Übersetzung aus dem Englischen) We were trying not to think about it, we just like, my brother would think of a game and we’d just start playing it under there, we’d get out some of his toys and stuff like that but we’d still hear the shouting, like at some points when the shouting got really loud my brother would just like pause for a minute and look at me ((mimics frightened look)), I’d be like, ‘It’s OK, it’s OK’, cause sometimes he’d just like freak out and stuff like that, he’d be quite scared about what was going on cause he was, probably scared if someone was going to get hurt … You could see like he was going to start crying or something and you’d just try and like, try and get on with the game quite quickly, ((umm)) just try and like carry on playing, make the game like amusing and stuff so he could try and forget about it.

Unmittelbar während häuslicher Gewalt

Das Miterleben von Konflikten zwischen Eltern stellt eine Belastungssituation für Kinder und Jugendliche dar. Wie auch bei heftigen Konflikten zwischen Eltern, können Geschwister in diesen Situationen eine wichtige Ressource darstellen. So gaben in einer Studie von Jenkins, Smith und Graham(1989) 59 % der befragten 9- bis 11-jährigen Kinder an, dass sie sich während eines Streits der Eltern an das Geschwister wandten. 40 % sprachen mit ihrem Geschwister über den Streit zwischen den Eltern. Zum Teil gelingt es den älteren Geschwistern die jüngeren von den Geschehnissen in der Familie abzulenken und sie so zu schützen (Roth et al., 2014). Geschwister nehmen auch eine schützende und fürsorgende Rolle in Situationen ein, in denen es zu häuslicher Gewalt kommt (Katz, 2014). Vor allem die älteren Geschwister, auch wenn diese in der genannten Studie nur zwischen vier und sieben Jahre alt waren, übernehmen die Aufgabe, den Schutz der jüngeren Geschwister sicherzustellen sowie diese zum Beispiel durch das Singen von Liedern zu beruhigen.

Situationsübergreifende Ausgestaltung der Geschwisterbeziehung

Geschwister sind auch nach der unmittelbaren Situation oft noch wichtige Ansprechpartner*innen, um sich über die Situation mit den Eltern auszutauschen: Sie verstehen bei Streit, Trennung und Scheidung das Leid des jeweils anderen gut (Roth et al., 2014). Die gemeinsamen Erfahrungen, aber auch die Bewältigung von neuen Aufgaben, verbindet die Geschwister (Bush & Ehrenberg, 2003). Zudem fällt der Austausch mit dem Geschwister über heftige Konflikte zwischen den Eltern oft leichter als mit Freund*innen, möglicherweise auch, weil dieser Austausch weniger das Risiko einer sozialen Stigmatisierung birgt (Jenkins et al., 1989).

Insgesamt zeigte sich auch situationsübergreifend bei dem Miterleben von Partnerschaftsgewalt ein hohes Ausmaß an positiven Merkmalen in der Ausgestaltung der Geschwisterbeziehung zwischen den Geschwistern (Witte, 2018). Dies ist vergleichbar mit dem Ausmaß an positiven Merkmalen bei Geschwisterpaaren, die keinerlei Gewalt oder Vernachlässigung miterlebt oder erfahren haben (Witte, 2018). Das gilt besonders für die Wertschätzung und die wechselseitige Unterstützung (Witte, 2020) und dann, wenn auch das jüngere Geschwister vom Miterleben von Gewalt berichtet (Witte, 2018). Diese positive Ausgestaltung der Geschwisterbeziehung tritt jedoch nur unter der Bedingung auf, dass die Geschwisterbeziehung nicht zusätzlich durch emotionale Vernachlässigung eines Geschwisters durch die Eltern belastet ist (Witte, 2020).