Häusliche Gewalt und Kindeswohlgefährdung nach §1666 BGB
5.2.4Eignung ambulanter Hilfen beim Gebot zur Inanspruchnahme (§ 1666 Abs. 3 Nr. 1 BGB)
Maßnahmen eines teilweisen oder vollständigen Sorgerechtsentzugs (§ 1666 Abs. 3 Nr. 6 BGB), um eine Trennung des Kindes vom gewaltbetroffenen Elternteil oder den weiterhin zusammenlebenden Eltern zu ermöglichen, sind nur zulässig, wenn trotz angenommener Bereitschaft und Fähigkeit zur Inanspruchnahme keine geeigneten Hilfen zur Verfügung stehen. Hierbei liegt die Frage, wie ambulante Hilfekonzepte im konkreten Fall gestaltet sein müssen, damit sie möglichst gute Erfolgschancen haben, primär in der Verantwortung von Jugendamt sowie den Einrichtungen und Diensten in der Beratung, Unterstützung und Therapie. Ob hingegen Faktoren vorhanden sind, die gegen die grundsätzliche Eignung einer Hilfe sprechen können, ist Prüfaufgabe auch des Familiengerichts. Argumente gegen den Einsatz ambulanter Hilfen können sein: Kindler, NZFam 2020, S. 380.
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Überdauernde Einschränkungen: Partnerschaftsgewalt zählt zu den Merkmalen einer Lebenssituation von Eltern, die als Hochstressbedingung bezeichnet werden kann. Damit ambulante Hilfen greifen können, muss erst diese Bedingung verändert werden, sprich die Gewalt verlässlich beendet sein. Trennen sich die Eltern nach Partnerschaftsgewalt nicht, kann dies unter Umständen einige Zeit in Anspruch nehmen oder auch nicht gelingen.
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Risiko: Besteht nach Partnerschaftsgewalt keine Trennungsperspektive und keine ausreichend verlässliche Aussicht auf Veränderung beim gewaltausübenden Eltern- teil/Partner, können ambulante Hilfen das Wiederholungsrisiko eines Miterlebens von Gewalt oder eigene Gewaltbetroffenheit des Kindes oder des*der Jugendlichen regelmäßig nicht ausschließen. Zur Einschätzung des Wiederholungsrisikos bei häuslicher Gewalt sind für den Hochrisikobereich mittlerweile auch in Deutschland regional Instrumente im Einsatz. Grafe, 2020. Wenn Veränderungsmöglichkeiten durch ambulante Hilfen gesehen werden, ist zu bedenken, dass selbst gelingende Hilfeprozesse erst über mehrere Monate Wirkungen entfalten, sodass die Geeignetheit der Hilfe in Abwägung mit den Folgen einer Trennung deshalb nicht angenommen werden kann, weil die Schutzlücken zu Beginn der Maßnahme nicht hinnehmbar sind.
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Aktive Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Fachkräften (Koproduktion): Nur wenn Eltern in einer ambulanten Hilfe mit den Fachkräften inhaltlich zusammen- arbeiten, können diese die erforderlichen Veränderungen bewirken. Hilfe ist auf Koproduktion angewiesen. Das Zulassen von Hilfe reicht nicht aus. Wenn Eltern nach Partnerschaftsgewalt in den je spezifischen Lebenssituationen keine Veränderungsthemen benennen können, ist die Grundwahrscheinlichkeit des Scheiterns der Maßnahme hoch.
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Zeitablauf: Auch wenn positive Veränderungen durch ambulante Hilfen langfristig erreichbar erscheinen, kann dies zur Abwendung von Schädigungen bei den Kindern und der Beendigung einer Kindeswohlgefährdung nicht zeitnah genug sein. Dies gilt in besonderem Maße, wenn Kinder bereits sehr auffällig sind und altersbedingt nur noch wenig Zeit für deutliche Veränderungen des Entwicklungsverlaufs besteht.