Häusliche Gewalt und Kindeswohlgefährdung nach §1666 BGB
5.2.3Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit bei Gebot zur Inanspruchnahme von Hilfen (§ 1666 Abs. 3 Nr. 1 BGB)
Erwägt das Familiengericht nach § 1666 Abs. 3 Nr. 1 BGB Gebote, Hilfen in Anspruch zu nehmen, ist zunächst die Bereitschaft und Fähigkeit der Eltern in den Blick zu nehmen, an den Hilfen tatsächlich mitwirken zu wollen und diese ausreichend nutzen zu können, um die Gefährdung zu beenden. Eltern schätzen in familiengerichtlichen Kinderschutz- verfahren ihre Veränderungsmöglichkeiten mitunter unrealistisch ein und können hoch interessiert daran sein, der unangenehmen Situation durch verbales Bekunden neu, aber nur vorübergehend entdeckter Veränderungsmotivation zu entkommen. Kindler, NZFam 2020, S. 378. Daher ist ein differenziertes Hinterfragen angezeigt: Kindler, NZFam 2020, S. 379. Mehrere Aspekte sind dabei von Bedeutung:
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Haltung gegenüber belegbaren Gefährdungsereignissen: Leugnen insbesondere gewaltausübende Eltern belegbare Gefährdungsereignisse, erhöht sich die Wieder- holungsgefahr und ist der Aufbau einer Arbeitsbeziehung in der Hilfe erschwert. Allerdings können soziale und strafrechtliche Gründe auch bei Partnerschaftsgewalt vordringlich hinter einer Ablehnung von Verantwortung stehen, sodass eine anfäng- liche Verleugnung zwar berücksichtigt, aber nicht allein als ausschlaggebender Faktor für eine negative Prognose der Veränderungsbereitschaft angesehen werden sollte.
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Betrachtung der gegenwärtigen Situation: Wird das Beenden der Gewalt in einer beendeten oder fortdauernden Partnerschaft als notwendig angesehen, ergibt sich ein Hinweis zur Veränderungsmotivation aus der elterlichen Wahrnehmung auf die Lebenssituation von sich und vor allem der Kinder. Sehen gewaltbetroffene oder gewaltausübende Eltern auf offene Fragen die Gefahren und Belastungen für ihre Kinder nicht oder nur sehr eingeschränkt, ist für sie der Aufbau einer tragfähigen Arbeitsgrundlage für Veränderung schwer.
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Verarbeitung, Selbstvertrauen und realistische Hoffnung auf Veränderung: Gewalt führt zum Verlust der Kontrolle über den eigenen Körper und Geist, sie verändert das Selbstgefühl, die innere Struktur und die Beziehungen zu anderen. Das Bestreben der schützenden und unterstützenden Fachkräfte sowie Institutionen sollte daher sein, den gewaltbetroffenen Elternteil zu unterstützen, ihn nicht nur vor weiterer Gewalt zu schützen, sondern auch seinen Handlungsspielraum zu erweitern, die zuvor beeinträchtigte Freiheit wiederherzustellen und, in Familien, förderliche Erziehung zu ermöglichen und Schwieriges zu verarbeiten. Kelly & Meysen 2016, S. 3. Aus einer Position der Hilfs- und Hoffnungslosigkeit heraus ist es für Eltern schwer möglich, die für eine Mitarbeit an Veränderungsprozessen nötige Kraft und Ausdauer aufzubringen. Not- wendig sind daher eine Aussicht auf (Rückgewinnung von) Selbstvertrauen und eine realistische Hoffnung auf Veränderung. Um dies zu beurteilen, können die Stimmung der Eltern und Äußerungen über Zukunftsperspektiven, in der Vergangenheit er- reichte Ziele oder erkannte und tatsächlich nutzbare Ressourcen im Umfeld hilfreich sein.