Häusliche Gewalt und Kindeswohlgefährdung nach §1666 BGB

Neben Gefühlen von starker Hilflosigkeit bei „emotionaler Abwesenheit“ von Bindungspersonen, wie sie bei kleinen Kindern mit hochunsicher-desorganisierter Bindung bzw. mit Bindungsstörungen einhergehen, gehört auch Rollenkonfusion bzw. Parentifizierung in den „Symptomkatalog“ von Bindungsstörungen. Im Zusammenhang mit Rollenkonfusion und Parentifizierung wird diskutiert, dass Kinder ihre unzureichenden Beziehungsvorerfahrungen auf andere, folgende Beziehungen „übertragen“ (innere Arbeitsmodelle bzw. mentale Bindungsrepräsentationen). Danach lässt sich die erste Bindungsbeziehung als Schablone für folgende Beziehungen verstehen. In einer frü- hen Beziehung, die durch Rollenkonfusion bzw. Parentifizierung bestimmt ist, ent- wickelt das Kind (unbewusste) Repräsentationen über seine Bindungsperson als bedürftig und gleichzeitig über sich selbst als einen Menschen, der nicht liebenswert ist und Fürsorge nicht verdient. Bowlby, 1969; Bretherton, 2008.

Quer zu diesen bindungstheoretischen Annahmen, die in erster Linie aus der Eltern- Kind-Beziehung heraus erklärt werden, erweitern systemische Ansätze, wie sie in der Familienpsychologie oder (systemischen) Familientherapie vertreten werden, das Verständnis über mögliche Entwicklungsgänge in Rollenkonfusion bzw. Parentifizierung. Danach sind Familien intime Beziehungssysteme, die in dynamischer Weise aufeinander bezogen sind und in denen sich jeweils Veränderungen im Erleben und Verhalten eines Familienmitglieds auf das gesamte Familiensystem auswirken. Bertalanffy, 1968. Idealerweise besteht in Familien eine asymmetrische Rollenverteilung zwischen Eltern und ihren Kindern: Eltern unterstützen und strukturieren ihre Kinder. Cicchetti, 1993. Es werden klare Grenzen zwischen den Generationen für eine gelingende Entwicklung der Kinder vorausgesetzt. Wenn Eltern aber nicht oder nur unzureichend in der Lage sind, ihre Elternrolle wahrzunehmen, kommt es zu „Verschiebungen“ und das Kind übernimmt die „Leerstelle“ im familiären System. Sroufe, 1989. Bei chronischen Partnerschaftskonflikten bis hin zu Partnerschaftsgewalt bezieht das Kind den Konflikt auf sich und versucht, ihn unter hoher emotionaler Belastung und wenig erfolgreich zu „lösen“, etwa indem es sich zurückzieht und/oder indem es interveniert und sich „einmischt“ („Emotional Security Hypothesis“). Davies & Cummings, Psychological Bulletin 1994; Macfie et al., Developmental Review 2015. Tatsächlich zeigen sich hier entwicklungsalters- bezogene Verletzlichkeiten. Insbesondere im Vorschulalter haben Kinder die Tendenz, „schwieriges“ Verhalten ihrer Eltern, wie es im Kontext von Partnerschaftsproblemen oder gar -gewalt auftritt (aggressive Ausbrüche, emotional zurückgenommenes Verhalten, etc.) schuldhaft auf sich zu beziehen und zu verarbeiten („Der Papa schreit und schlägt die Haustür hinter sich zu, ich war nicht brav“; „Die Mama weint, ich bin schuld“). Dies geht mit der Entwicklung so genannter selbstbewertender Emotionen in diesem Alter einher (interpersonale Regulation). Holodynski & Friedlmeier, 2006. Kinder fühlen sich betroffen, wenn sie etwas falsch gemacht haben oder sie schämen sich, wenn sie bei etwas Verbotenem ertappt werden. Hier lassen sich also auch mögliche Ursachen von häufig beobachteten Schuldgefühlen bei Kindern im Kontext von häuslicher Gewalt ableiten. Ältere Kinder fühlen sich etwa schuldig, wenn sie sich „einmischen“ und z. B. Nachbarn zu Hilfe rufen, um die Mutter zu schützen, wohl wissend, dass sie damit den Vater „enttäuschen“ und ggf. dessen Ärger und Wut auf sich ziehen. Ebenso lassen sich starke Loyalitätskonflikte erklären, wie sie häufig beobachtet werden. Kinder sind emotional an beide Eltern gebunden. Feindseligkeiten oder gar offene Aggressionen zwischen den Eltern sind für sie mit schwer bzw. nicht zu bewältigenden und widerstreitenden Gefühlen verbunden. Sie fühlen sich für den einen Elternteil verantwortlich (Parentifizierung) und/oder „identifizieren“ sich mit dem anderen Elternteil, der sich gewaltsam durchsetzt und aggressiv behauptet. Weber-Hornig & Kohaupt, Familie, Partnerschaft, Recht 2003. Auch für Identifikation, meist mit dem Vater und meist bei Jungen beobachtbar, lassen sich psychologische Mechanismen wie „Lernen am Modell“ zur Erklärung anführen.