Häusliche Gewalt und Kindeswohlgefährdung nach §1666 BGB
Auch im Kontext von Partnerschaftsgewalt stehen die professionellen Akteur*innen und Institutionen mit Blick auf das Kind oder den*die Jugendliche*n vor der anspruchs- vollen Aufgabe, der konkreten Lebenssituation und Entwicklungsperspektive die jeweilige Schwelle zuzuordnen. Dabei markiert der Begriff „Kindeswohlgefährdung“ als familienrechtliche Konstruktion für soziale Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen und ihre Aufwachsensbedingungen bei Annahme seines Vorliegens einen Grenzstein. Diesseits liegt der große Bereich, in dem viele Problemlagen und Belastungen von Kindern und Jugendlichen möglich sind, auf welche der Sozialstaat mit Angeboten an Hilfe und Unterstützung und einem Werben um selbstbestimmte Inanspruchnahme zu reagieren hat. Jenseits, also bei vorliegender Kindeswohlgefähr- dung, ist bevorzugte Option zwar weiterhin die Verbesserung der Situation in Übereinstimmung mit den Personensorgeberechtigten, aber auch Maßnahmen ohne ihre Zustimmung oder gegen ihren Willen werden grundsätzlich zulässig. Kindler 2018, S. 205. In Kindschaftssachen bei Trennung und Scheidung nach häuslicher Gewalt sind die fortwirkenden Folgen und fortbestehenden Gefährdungen sowie Bedrohungen im Verfahren und in den Entscheidungen zu berücksichtigen. Hierzu ▸ Kapitel 1 (Umgang), ▸ Kapitel 2 (elterliche Sorge), ▸ Kapitel 4 (Verfahren).
Die Kindeswohlorientierung sowohl der UN-Kinderrechtskonvention („best interests of the child“) als auch des Kindschaftsrechts („dem Wohl des Kindes am besten entspricht“, § 1697a BGB) ist konsequent zukunftsbezogen, auch in Kontexten von elterlicher Sorge, Umgang und Kindeswohlgefährdung. Zu einem internationalen Vergleich Meysen & Krutzinna, 2020. Es geht nicht, wie etwa im Strafrecht, um die Aufklärung und Sanktionierung vergangener Taten, sondern um die Abwendung zukünftiger Schädigungen von Kindern und Jugendlichen. Der Bundesgerichtshof und sich daran anlehnend das Bundesverfassungsgericht BVerfG 13.7.2017 – 1 BvR 1202/17. verwenden eine Definition, wonach eine Kindeswohlgefährdung „bei einer gegenwärtigen, in einem solchen Maß vorhandenen Gefahr [besteht], dass bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.“ BGH; zurückgehend auf 14.7.1956 – IV ZB 32/56. Die Definition beschreibtdie Schwelle für Eingriffe in die elterliche Sorge (§ 1666 [i.V.m. § 1671 Abs. 4], § 1684 Abs. 4 S. 2 BGB). Zur Entsprechung der Eingriffsschwelle bei längerfristigen Umgangsausschlüssen oder -beschränkungen siehe etwa Staudinger/Dürbeck 2019, § 1684 BGB Rn. 286 m. zahlr. Nachweisen zur Rechtsprechung.
Diese Schwelle im Blick stellen sich Fragen an die Tatsachenwissenschaften, insbesondere die Entwicklungspsychologie, vor allem nach den Zusammenhängen von Partnerschaftsgewalt und psychischer Gesundheit sowie sozialer und kognitiver Entwicklung von Kindern. Weiter gibt Forschung Anlass, die Gefahr eines zusätzlichen Auftretens von Kindesmisshandlung, Vernachlässigung und sexuellem Missbrauch in den Blick zu nehmen.