Kinder und Jugendliche im Kontext häuslicher Gewalt – Risiken und Folgen

Wichtig ist, dass sich im Kontext häuslicher Gewalt auch gehäuft unsichere oder hochunsichere Mutter-Kind Bindungsbeziehungen finden (McIntosh et al., 2019). Der Text von Ute Ziegenhain (s. a. Text Erlebens- und Verarbeitungsweisen von Kindern im Kontext häuslicher Gewalt) erklärt näher, wie solche Bindungsmuster aussehen und was sie für die Befindlichkeit von Kindern bedeuten. Hier ist es vor allem wichtig darauf hinzuweisen, dass solche unsicheren Mutter-Kind Bindungen auch dann auftreten, wenn die Mutter selbst nicht gewalttätig handelt, aber durch die Gewalt oder deren Folgen daran gehindert wird, auf die Angst und emotionale Belastung des Kindes einzugehen. Da positive Bindungserfahrungen die soziale Entwicklung von Kindern unterstützen (Groh et al., 2017), kann in der Praxis im Fall einer Elterntrennung und eines Verbleibs von Kindern bei der Mutter ein wichtiges Ziel darin bestehen, eine Reorganisation der Mutter-Kind Bindungsbeziehung zu fördern. Je nach Einzelfall können dafür Maßnahmen sinnvoll sein, um die Sicherheit der Mutter zu erhöhen, vorhandene psychische Belastungen abzubauen oder positive Interaktionen mit dem Kind direkt zu unterstützen. Einige entsprechende Hilfekonzepte wurden bereits erprobt (z. B. Lawler et al., 2018), allerdings ist festzuhalten, dass das Opferschutz- und Hilfesystem nicht allein für ein begründetes Gefühl von Sicherheit sorgen kann, da etwa – je nach erlittener Gewaltform – Umgangskontakte stark verunsichernd wirken können (Hardesty et al., 2017).

Auch hinsichtlich des zweiten genannten Aspekts der sozialen Entwicklung, der Gleichaltrigenbeziehungen, haben sich negative Einflüsse miterlebter häuslicher Gewalt aufzeigen lassen. Manchmal sind sozialer Rückzug oder schnell eskalierende Konflikte unmittelbarer Ausdruck der psychischen Belastung vieler betroffener Kinder. Jedoch haben mehrere Studien gezeigt, dass es auch tieferliegende Veränderungen gibt. Unter den Bedingungen eines Aufwachsens mit häuslicher Gewalt entwickeln viele Kinder mehr Misstrauen und Feindseligkeit (McCloskey & Stuewig, 2001). Zudem haben sie weniger Ideen, wie Konflikte ohne Zwang und Gewalt gelöst werden können (Balli-Spanvill et al., 2003). Beides erschwert positive Beziehungen zu Gleichaltrigen und tiefe Freundschaften. Im Miteinander der Geschlechter geht häusliche Gewalt häufig mit eher geschlechterhierarchischen Vorstellungen einher (z. B. Graham-Bermann & Brescoll, 2000). Wenn sich dann im Jugendalter aus der Welt der Gleichaltrigenbeziehungen erste romantische und sexuelle Beziehungen herausentwickeln, erhöht eine Geschichte des Miterlebens häuslicher Gewalt die Wahrscheinlichkeit von Gewaltmustern (Dating Violence). Mehrere Langzeituntersuchungen haben dies bestätigt (Cascardi & Jouriles, 2018), wobei selbst in der frühen Kindheit miterlebte häusliche Gewalt eine Rolle spielen kann (Narayan et al., 2017). Der Zusammenhang ist deutlich, aber weit von einem Determinismus entfernt, d. h. vielen jungen Menschen, die in ihrer Kindheit häusliche Gewalt miterleben mussten, gelingt es, Gewalt in ihren ersten Partnerschaften zu vermeiden. Dies und das Verständnis der dahinterstehenden Mechanismen (erhöhtes Misstrauen, Akzeptanz von Gewalt, vergleichsweise geringere Fähigkeiten im Umgang mit negativen Gefühlen, fehlende positive Bilder von Vertrauensbeziehungen) eröffnen prinzipiell Chancen für die Prävention, auch wenn entsprechende Modellprojekte in Deutschland bislang fehlen.