Neurobiologische Folgen kindlichen Miterlebens häuslicher Gewalt
Im sogenannten „Trierer Stresstest“ (Trier Social Stress Test; TSST (Kirschbaum, Pirke & Hellhammer, 1993)) lassen sich neurobiologische Reaktionen auf psychosozialen Stress, wie freies Reden oder Lösen von Rechenaufgaben im Kopf vor Publikum, analysieren. In Studien konnte nachgewiesen werden, dass Erwachsene, die in der Kindheit misshandelt wurden, im Vergleich mit Erwachsenen ohne Misshandlungserfahrungen auf einen solchen psychosozialen Stresstest mit erhöhten ACTH- und Cortisolausschüttungen reagierten (Heim et al., 2000). Diese Befunde zeigen, dass misshandelte Personen im Kontext neuer Stressoren erhöhte Ausgangswerte für Cortisol und eine erhöhte Cortisolreaktivität aufweisen.
Bei Kindern und Jugendlichen, die Gewalt zwischen ihren Eltern erlebt haben, wurden Veränderungen im autonomen Nervensystem festgestellt. Kleinkinder, die als Zeugen der Aggressivität zwischen den Eltern erlebt hatten, zeigten erhöhte Cortisolspiegel sowie eine höhere Aktivität des parasympathischen sowie geringe Aktivität des sympathischen Nervensystems als Kinder ohne häusliche Gewalterfahrungen (Davies, Sturge-Apple, Cicchetti, Manning & Zale, 2009). Zudem zeigte sich, dass Kinder, die häusliche Gewalt erlebt haben, unter Stress eine geringere Zunahme der Aktivität des vagalen Tonus – ein Maß für die Grundaktivität des Parasympathikus –aufweisen (Rigterink, Fainsilber Katz & Hessler, 2010). Kinder, die Gewalt zwischen den Eltern miterlebt hatten, wiesen zudem eine erhöhte Herzfrequenz im Unterschied zu Kindern ohne häusliche Gewalterfahrung auf (Saltzman, Holden & Holahan, 2005). Da die Herzfrequenz maßgeblich durch das autonome Nervensystem bestimmt wird, weist auch dies auf negative Veränderungen in der Stressreaktivität nach dem Erleben von häuslicher Gewalt hin.